Reblaus

Die Rede ist von der Laus, die den Reben den Garaus machte. Und damit auch die im 19. Jahrhundert für die europäische Wirtschaft so ungemein wichtige Weinbaubranche quasi in die Knie zwang. Während man in Frankreich im Jahr 1875 noch stolz die grösste Weinernte aller Zeiten verkündete, lag im Land der Burgunder und Bordeaux-Weine keine vier Jahre später der gesamte Weinbau darnieder, nachdem das gefrässige Tierchen nicht weniger als 2,5 Millionen Hektar Rebfläche dem Erdboden gleichgemacht hatte. Und es dauerte nicht weniger als 30 Jahre, bis man in Europa sagen konnte, dass die Reblaus, auch Daktulosphaira vitifoliae genannt, besiegt war. Dabei wurde der europäische Weinbau streng genommen Opfer des technischen Fortschritts. Denn mit der Entwicklung der Dampfmaschine, welche sich irgendwann auch als Antrieb in den grossen Schiffen wiederfand, wurden aus Übersee zunehmen Pflanzen nach Europa eingeführt, darunter auch die amerikanische Rebe «Vinis aestivalis». Und mit ihr, als blinder Passagier, besagte Reblaus, welche sich in rasantem Tempo in ganz Europa ausbreiten sollte.

Bereits 1863 erstmals in Südfrankreich nachgewiesen, wurde von der französischen Regierung im Jahr 1870 eine Kommission eingesetzt, die dem Vielfrass Herr werden sollte. Zunächst angeführt vom Chemiker Jean-Baptiste Dumas, dem kein geringerer als Louis Pasteur höchstpersönlich folgte, wurde ausgiebig gefachsimpelt und diskutiert und gestritten, während die Reblaus ihren vernichtenden Feldzug unvermindert fortsetzte.

Die vertretenen Meinungen und ausgearbeiteten Vorschläge waren teils hanebüchen. Sie reichten von der Behauptung, die Reblaus sei nicht die Ursache sondern nur die Wirkung über das Vergraben von toten Kröten unter den Wurzeln der Rebstöcke oder das Bewässern der Reben mit Weisswein bis hin zum kompletten Fluten der Weinberge oder dem Abklopfen des Bodens, wodurch das Insekt ins Meer zurückgetrieben werden können sollte.

Dass die europäische und die amerikanische Reblaus identisch waren, half, der Lösung des Übels auf die Spur zu kommen. Denn in Amerika hatte man herausgefunden, dass es einige Rebsorten gab, die gegen den Speichel der Reblaus resistent waren. Und mit dem Aufprofen der eigenen Reben auf den Wurzelstock der amerikanischen Rebe Vinis aestivalis wandte sich die Lage schlussendlich zum Besseren. Geduld war allerdings weiterhin gefragt, denn die amerikanische Rebe musste sich erst auf das europäische Klima einstellen, zumal das Aufpfropfen auch nicht von heute auf Morgen in ganz Europa vollzogen werden konnte. Dies hatte zur Folge, dass es mehr als drei Jahrzehnte brauchte, bis man der Reblauskrise Herr geworden war. Unvorstellbare 65%  der gesamten europäischen Weinbauflächen, in Frankreich sogar 75%, waren bis dahin vernichtet worden. Heute gehen Experten davon aus, dass der volkswirtschaftliche Schaden gleich gross war wie die Folgeschäden des 1. Weltkriegs.

Die Reblaus ist bis heute nicht ausgestorben. Dank ihres komplexen Stoffwechsels und der Tatsache, dass sie sich – im wahrsten Sinne des Wortes – in Windeseile fortpflanzen und dabei mehrmals mutieren kann, macht sie immer noch zu einer reellen Bedrohung des Weinbaus. Nicht zuletzt auch, da sie dank ihrer Flugfähigkeit mit Leichtigkeit Dutzende Kilometer zurücklegen kann.