Süssweine

Der Süsswein, der aus der Kälte kommt

wandern.ch, Dezember 2022 – Üblicherweise ernten die Weinbauern all ihre Trauben im Herbst. Nicht so die Winzerfamilie Mathier in Salgesch (VS). Bei ihnen dürfen einige Sorten bis Ende Dezembember an den Stöcken bleiben. Dann haben sie satte 180 Öchslegrad erreicht. Ideal, um daraus Süssweine zu keltern.

Text: Martin Weiss, Fotos: Martin Weiss und Familie Mathier

Es ist sieben Uhr morgens und eiskalt im Rebberg Leutin bei Sion. Doch für Diego Mathier und einige seiner Mitarbeiter ist dies genau richtig, um die spätreifen Trauben zu ernten. Danach, noch immer eiskalt, werden sie gepresst, wird der süsse Saft in Eichenfässer abgefüllt und zum Reifen in einen Weinkeller gebracht, der weltweit einzigartig ist: Es ist eine Eisgrotte im Rhonegletscher, hoch oben am Furkapass im Wallis.

Wenn Diego das Portal dieser fünfzehn Meter hohen «Kathedrale aus Eis» schliesst, geht für sechs Monate niemand mehr hinein. Denn nun ist Mutter Natur am Werk. Und ein Stück Magie. Diego erklärt es so: «Spätgelesene Trauben enthalten viel Zucker, Ende Dezember erreichen sie bis zu 180 Öchsle. Bei der alkoholischen Gärung wird jedoch der Zucker zum grossen Teil abgebaut. Um diesen Prozess zu verlangsamen und schliesslich zu stoppen, hilft die Lagerung während der Gärung in der Kälte. So bleibt mehr restsüsse im Wein und gleichzeitig bleibt die Säure erhalten. Da der Traubensaft auf der Hefe belassen wird, entsteht so ein harmonischer, komplexer Süsswein.»

Erst Mitte Juni holen die Mathiers die Fässer wieder ans Tageslicht.

Da der Gletscher in Bewegung ist, müssen sie oft vom Eis befreit werden. «Einen natürlicheren Weinkeller gibt es nicht», sagt Diego und wird fast schon poetisch: «Wir bringen ein uraltes Kulturgut zurück zum Ursprung der Rhone und damit zum Ursprung des Lebens. Ohne diesen Fluss wäre unser Tal eine karge Steppenlandschaft.» Tatsächlich wähnt man sich in der Eisgrotte im Bauch von Mutter Natur. Kein Vergleich mit einem profanen Weinkeller im Unterland. «Es herrscht eine konstanten Kälte um die Null Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Auch ökologisch macht das Sinn, denn wir brauchen zur Kühlung keinen Strom», so Diego.

Der Gletscher schmilzt

Seit Diegos Bruder Yvo 1998 die Idee hatte, die Süssweine im Gletscher zum Reifen zu bringen, hat sich die Situation allerdings drastisch verändert. Der Rhonegletscher ist seither um über achtzig weitere Meter zurückgegangen. Lag die Eiszunge damals noch nahe bei der Furkastrasse, gibt es heute dort einen See, der ständig wächst. Glaubt man den Hochrechnungen der ETH-Glaziologen, wird der Rhonegletscher spätestens um 2100 verschwunden sein. «Es kann tatsächlich sein, dass wir schon bald wieder auf unseren Eiskeller im Tal zurückgreifen müssen», sagt Diego. «Aber wir ziehen das durch, solange es geht.» Umso kostbarer sind diese Weine, die uns daran erinnern, dass Mutter Natur viel Respekt braucht. Den haben die Mathiers aufgrund ihrer nachhaltigen Produktionsweise (IP) zu ihrem Arbeitsprinzip gemacht und wurden mehrfach dafür ausgezeichnet. 2016 sogar als «Winzer des Jahrzehnts».

Ein edler Tropfen für die Weihnachtszeit

Nur wenige Flaschen dieser süssen Preziosen kommen jährlich in den Verkauf. «Gefragt sind sie besonders in der Weihnachtszeit», erklärt Diegos Frau Nadja, die gerne kocht, wie ihre Rezepte auf der Familienwebseite zeigen. «Der Süsswein passt gut zu Cantucci, zu Chräbeli oder anderen Weihnachtsguetzli. Aber auch zu Crêpe Suzette oder gereiftem Käse.» Tatsächlich ist der «Wein, der aus der Kälte kommt» mit seinen fruchtigen Noten, die an Ananas und Mango erinnern, eine Gaumenfreude. Wäre dieser Tropfen nicht so kostbar, man könnte Unmengen davon trinken, zumal der Alkoholgehalt unter demjenigen normal gekelterter Weine liegt.

Weinflasche, Glas, Crhäbeli

Die Mathiers haben ihre Süssweine «Gemma» getauft, abgeleitet vom lateinischen Wort für «Edelstein». Je nach Sorte – verwendet werden Pinot noir, Ermitage oder eine Assemblage aus Ermitage, Pinot Gris und Silvaner – heissen die Süssweine «Saphir», «Rubin» oder «Topas» und bewegen sich zwischen Fr. 29.– bis Fr. 36.–.

Man kann sie onlien bestellen auf www.mathier.com.